Frieden im Körper - Teil 2 / Abschied für immer

Achtung! Dieser Blog beschäftigt sich mit Trauma und malignem Narzissmus. Wenn dich diese Themen triggern, achte beim Lesen bitte gut auf dich und deinen Selbstschutz!

Abschied für immer.

Ich nehme Abschied, für immer. Mit der bevorstehenden Operation nehme ich für immer Abschied von meiner Überbeweglichkeit. Die Prothese, die mir eingesetzt wird, wird nur in sehr seltenen Fällen implantiert, nämlich dann, wenn kein Band mehr hält, was es halten sollte, was bei mir de facto in den Kniegelenken der Fall ist.

Die Überbeweglichkeit, die mich, seit ich denken kann begleitet, resultiert aus einer Form einer Autoimmunerkrankung, die Probleme mit der Kollagensynthese mit sich bringt. Ehlers Danlos, die hypermobile Form oder früher auch Typ 3 genannt. Meine Gelenke, mein Körper war auf „Verbiegen“ eingestellt. Und ja, das musste ich mich auch. Aber nicht körperlich, denn diese Form des Sports wurde mir immer untersagt, sondern seelisch.

Um in meiner Familie überleben zu können, galt für mich der Spruch: „As long as I bend, I don’t break.“ Mein Vater, ein Narzisst mit mäßigem Intellekt und meine Mutter, eine Narzisstin, die keinen Widerspruch duldete. Mein Vater hatte mich – schwächstes Glied der Familie – als Prellbock seines ganzen Frustes auserkoren. Er maß sich mit mir und an mir und gab mir als Kind täglich zu verstehen, ich sei nicht gut genug, denn er sei besser. Ein Beispiel? Ich war 9 Jahre alt, als er mich auf dem Schotterweg unter unserem Haus auf die „Aufnahmeprüfung auf die Sportuniversität“ testete. Er selbst (damals 43 Jahre alt) hatte kurz davor sein Sportstudium beendet und sah sich seitdem als Maß aller Dinge. Gemessen hat er sich prinzipiell nur mit Schwächeren, das ist meinem Bruder und mir aber sehr viel später erst aufgefallen. Ich jedenfalls musste mit 9 Sprinten, Weit springen, Hochspringen, Mittelstrecken laufen, alles, was ER doch gemacht hatte, um auf die Sportuni aufgenommen zu werden. Ich war damals schon so gedrillt, dass ich alles, bis auf die 400m Laufen schaffte. Sein Urteil: „Sport könntest du niemals studieren, dafür bist du viel zu faul.“ Ihm konnte ich es nie recht machen. Und je besser ich wurde, egal in was, umso eher wurde ich zum Feindbild. Aus heutiger Sicht verständlich, kratzte ich doch mit jedem Mal an seinem völlig kaputten Ego, welches nur durch Trug und Schein aufrecht zu erhalten war. Die Auseinandersetzung mit ihm verlangte Kraft und so wurde ich zur Kämpferin. Ich erinnere mich gut, als er mir mit 19 eine gewaltige Ohrfeige gab und ich daraufhin einen Riesen Ziegel Parmesan als Schlagwerkzeug nutzte, um ihm und der Wucht des Schlages beizukommen.

Und so sehen mich die Menschen auch, als Kämpferin. Das ist aber nur die Seite, die sich durch die unzähligen verbalen und physischen Attacken meines Vaters entwickelt hat. Es gibt da aber noch eine ganz andere Seite. Die Bewegliche, die Überbewegliche, die Biegsame, die Verbiegende. Die, die bereits mit 3 Jahren gelernt hat: Wenn ich will, dass meine Mutter mich nicht wegsperrt mit geschlossenen Jalousien und versperrter Tür, dann sage ich: "Du hast ja so recht, ich versteh dich und es tut mir leid, dass ich so bin, wie ich bin und ich werde das auch ändern.“

Vor Kurzem erst gelang mir, es auf das herunterzubrechen. Mit meinem Vater begleiteten mich mein ganzes Leben lang Konflikte, denn ihm KONNTE ich es einfach nie recht machen, egal, was ich versuchte. Um aber von meiner Mutter Ruhe zu bekommen und nicht pausenlos ihren Launen ausgesetzt zu sein, lernte ich die Kunst der Manipulation bis zu Perfektion. Solange ich ihr das sagte, was sie hören wollte, durfte ich am Familiengeschehen teilnehmen. Sie stülpte ihre Überlebensstrategien über mich, ich sollte das ausleben, was sie nie wagte oder konnte. Für sie war es das schönste Kompliment, wenn wir als Schwestern angesehen wurden, sie identifizierte sich mit mir und wehe, ich entsprach nicht ihren Wunschvorstellungen. Sie benutzte mich auch meinem Vater gegenüber – ihrem Mann – als Schutzschild, im Sinne, sie schickte mich in den Krieg gegen ihn, während sie auf wundersame Weise während des Konflikts immer verschwand, wie ein Geist. Später tauchte sie aus dem Nichts wieder auf und teilte mir mit, ich hätte maßlos übertrieben und mein Vater hätte alles nur als Scherz gemeint, den wohl nur ich wieder mal nicht verstanden hatte. In meinem Kopf blieb meistens nur eins: ein riesengroßes Fragezeichen.

Wenn ihr was nicht passte, strafte sie mit Tellerwerfen, Schreien, Wegsperren, oder tagelanger Ignoranz. Da wurde dann nicht nur einmal für 3 statt für 4 Tisch gedeckt. Das Gefühl, welches man als Kind bei dem Anblick und der Aussage: „Nur für 3“ sich in einem breit macht, brauche ich, so glaube ich, niemandem beschreiben … Einmal hat sie einen Stuhl auf mir zertrümmert, ich war damals in der 4. Klasse Volksschule, sie geriet in Rage, da ich mein Zimmer nicht aufgeräumt hatte. Die Lehne brach sogar. Der Sessel wurde geflickt und wie ein Mahnmal stand der Sessel in meinem Zimmer, mit sichtbarer Klebestelle, denn schließlich war ich Schuld, dass sie das machen musste, ich hätte sie mit meiner Unordnung so unermesslich gereizt. Meine Mutter terrorisierte die ganze Familie, aber immer so gekonnt, dass keiner von dem anderen wusste, dass auch er / sie unter ihrem Terror litt. Sie war eine fantastische Intrigantin, die die Kunst des „hinterrucks-alle-wahnsinnig-Machens“ perfekt beherrschte, nur um dann als die Erhabene hervorzugehen, der das alles „völlig egal“ war und dass doch alle anderen nur ein Problem hätte, niemals aber sie.

Wie ich bereits erwähnt hatte, erst vor Kurzem wurde mir bewusst (meine Mutter ist an Demenz erkrankt), dass sich unsere Gespräche energetisch nie verändert hatten.

Nach wie vor umschiffe ich, wunderbar manipulativ, eventuelle Minen, um ihre Explosion zu verhindern. Manchmal touchiere ich sie auch bewusst, wohl wissend, dass ich jetzt vor ihr und ihrem Zorn in Sicherheit bin. Es kam mir vor, als würde sich der jahrzehntealte Nebel verziehen und ich zum ersten Mal klar sehen. Ich hatte – und ich bin jetzt 50 – noch nie ein ehrliches Gespräch mit meiner Mutter. JEDES, wirklich jedes Gespräch war darauf aufgebaut, was ich ihr – aber eigentlich mir selbst – zumuten konnte. Plötzlich war sie da, die absolute Klarheit. Ich hatte mich mein ganzes Leben lang verbogen. Ja, verbogen, um emotional nicht zu zerbrechen… Mein Körper zeigte es mir und ich verstand seine Sprache gar nicht. Ich suchte in Büchern, was Hypermobilität zu bedeuten hatte, fand es interessant, was so manch ein Arzt, Energetiker oder wer auch immer dazu sagte, aber ich kam NIE auf die Idee, dass der Ursprung meiner Hypermobilität unumstößlich mit der Beziehung zu meiner Mutter zusammenhängte. Aber wenn ich davon ausgehe, dass die Mutter uns das Lieben lehrt und der Vater das Leben, dann wird mir so Einiges klar. Offen blieb jedoch eine Frage: „Wie gehe ich nun damit um?“ Ich habe einen sehr emotionalen, mutigen und riskanten Entschluss gefasst und er hat viel Überlegung und Nerven gekostet, aber ich war nicht allein, ich war unterstützt von meinem Mann.

Ich brauche meine Hypermobilität nicht mehr.

Sie hat mir unglaublich gute Dienste erwiesen, mein ganzes Leben lang. Sie hat mich davor bewahrt, völlig gebrochen zu werden, von Eltern, die mit sich selbst überfordert waren. Vielen meiner Gelenken geht es bereits gut, 4 davon sind getauscht, 2 davon wackeln gewaltig. Bei dem Gedanken, sie zu stabilisieren, ist mir vor einem Jahr in der Sekunde übel geworden, aber da hatte ich auch das Wissen noch nicht. Das Gefühl, dann nicht mehr überbeweglich zu sein, machte mir „auf wundersame Weise“ panische Angst. Jetzt weiß ich warum. Die Überbeweglichkeit hat mich 50 Jahre begleitet, 50 Jahre dabei geholfen, mich zu verbiegen, um Angriffen auszuweichen. Aber der Krieg ist vorbei. Ein für alle Mal. Im Außen jedenfalls schon länger. Jetzt darf mein Körper zur Ruhe kommen. Ich bin gespannt, wie sich Stabilität anfühlt, ich weiß es nicht. Zumindest nicht im Körper. Ich bin ein wenig unsicher, aber etwas in mir sagt, dass es wirklich vorbei ist mit dem Verbiegen. Der Abschied wird sogar von einem sanften Gefühl der Traurigkeit begleitet. Doch es gibt kein Zurück und keine Unsicherheiten mehr diesbezüglich. Die nächsten zwei Monate gehören mir, meiner Heilung. Die Karten werden neu gemischt. Ich habe eine Familie, aber nicht die alte. Mein Mann, mein Sohn und dann ich habe zum Glück einen Bruder, mit dem der Kontakt in den letzten zwei Jahren endlich besser wurde, weil wir die „Terroristen“ im System entlarvt hatten, unsere Eltern. Die Stabilität, die ich mittlerweile im Außen erfahre, darf jetzt auch in mir selbst Einzug nehmen. Ich freu mich drauf… und bin gespannt.

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Kommentare: 2
  • #1

    Andre (Montag, 17 Juni 2024 23:43)

    Wie immer liebe Verena. Viel Erfolg. LG André

  • #2

    Bojana (Freitag, 21 Juni 2024 22:24)

    Gewaltiger Erkenntnis!
    Gratulation!
    Jetzt hast du auch viele andere Menschen die dich sehr schätzen und wenn nicht anderes, dann seelisch unterstützen!